Maria gilt als Vorbild des Glaubens und als Mittlerin und Fürbitterin. Mit Ihrem Ja zu Gott hat sie Gott in sich Raum gewährt, hat ihn in sich wachsen lassen, hat sich von ihm einnehmen lassen. Gleichzeitig hat sie Gott ein menschliches Gesicht gegeben, hat ihn unter Menschen erfahrbar und erlebbar gemacht und damit den Mitmenschen geholfen, ihrerseits befreit und erlöst und damit richtig Mensch zu werden.
Weil sie so von Anfang an in die Menschwerdung und das Erlösungshandeln Gottes in Jesus Christus unmittelbar einbezogen war, war sie sozusagen sie geschichtlich-irdische Urheberin des Heils. Anselm von Canterbury lehrte, dass alle Gaben Gottes in Jesus Christus – die Versöhnung des Sünders, neues Leben und Versöhnung im Endgericht – erst durch Maria, indem sie Jesus gebar, in die Welt kamen. Daraus resultiert dann ihre Rolle als Mittlerin und wirkungsvollste Fürbitterin; im Mittelalter konnte sie sogar zur Miterlöserin
und Mithelferin
werden. Das Mitleiden Marias bei der Passion Christi wurde schließlich fast ebenso wie Christi Leiden selbst als heilswirksam betrachtet.
So wurde Maria zur Mutter
der katholischen Kirche, eine Auffassung die auch Philipp Melanchthon in der Reformation teilte: Alles, was in der Gestalt Marias geschieht, geschieht auf ähnliche Weise in der Kirche, denn Maria ist das Bild der ganzen Versammmlung, die Kirche Gottes heißt.
Dogmatische Aussagen der katholischen Kirche über Maria, die im Laufe der Kirchengeschichte formuliert wurden, sind:
• Maria ist wahre Gottesmutter;
• sie hat Jesus jungfräulich durch den Heiligen Geist empfangen;
• sie ist auch bei und nach der Geburt Jungfrau geblieben;
• Maria blieb in ihrem Leben ohne Sünde;
• auch sie selbst wurde empfangen, ohne in die Erbsünde verstrickt zu sein;
• sie ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden.
Vor dem Hintergrund des Streites, ob Jesus göttlicher oder menschlicher Natur sei, wurde Maria im 4. Jahrhundert in theologischen Schriften als theotokos
, Gottesgebärerin, bezeichnet. Der syrische Mönch Nestorius, gestorben um 451, lehnte diese Bezeichnung ab und hielt daran fest, dass Maria zwar die Mutter Jesu, nicht aber Gottes sei. Das Konzil von Ephesus verurteilte 431 die nestorianische Auffassung, bestätigte den Titel, der seitdem sowohl in der orthodoxen wie in der römisch-katholischen Kirche verwendet wird.
In engem Zusammenhang mit der Gottesmutterschaft steht die Jungfräulichkeit Marias. Sie beruhte im 2. oder 3. Jahrhundert auf der Auffassung, nicht Joseph, sondern Gott selbst sei durch den Heiligen Geist der wahre Vater Jesu gewesen (Lukasevangelium 1, 35). Auch der Islam verehrt sie als sündenfreie Jungfrau Marjam.
Der Marienkult, der im 4. Jahrhundert im Osten aufkam, verehrte Maria in ihrer Funktion als Gottesgebärerin und aufgrund ihrer unbefleckten Empfängnis. Diese Überzeugung kommt in den 373 bis 374 beschlossenen Taufbekenntnissen Zyperns, Syriens, Palästinas und Armeniens zum Ausdruck, wo von immerwährender Jungfräulichkeit
, aieiparthenos
, gesprochen wird. Das Konzil von Ephesus bezeichnete Maria als Ewig-Jungfrau
, Papst Martin I. erklärte auf dem 1. Konzil im Lateran die immerwährende Jungfräulichkeit Marias zum Dogma. 680 schuf das 3. Konzil von Konstantinopel den Titel der heiligen unbefleckten Jungfrau
. Zwar werden im Neuen Testament an mehreren Stellen die Geschwister Jesu erwähnt (z.B. Markusevangelium 6, 3), doch legte man diese Passagen so aus, dass sie sich auf Vettern Jesu – so Hieronymus und der Katechismus der katholischen Kirche – oder auf Kinder aus einer früheren Ehe Josephs – so einige ostkirchliche Väter – bezogen.
Die Vorstellung von der Jungfräulichkeit Marias wurde dann übertragen auf ihre eigene unbefleckte Empfängnis, d.h. dass auch Marias Mutter Anna Jungfrau war bei der Geburt ihrer Tochter und Maria also frei von Erbsünde. Das Fest der Empfängnis der Gottesmutter Maria hat Wurzeln bis zurück ins 8. Jahrhundert, auch in der Ostkirche. Unter dem Einfluss des schottischen Theologen Duns Scotus vertraten dann insbesondere die Franziskaner die Auffassung, dass Maria nicht mit Erbsünde behaftet sei. Das Konzil von Basel fasste darüber einen Beschluss. Das Dogma von der unbefleckten Empfängnis dagegen wurde erst 1854 durch Papst Pius IX. verkündet. Die blaue Farbe ihres Mantels in zahlreichen Darstellungen ist das Symbol dieser Reinheit.
Die Lehre von der leiblichen Aufnahme in den Himmel ist das jüngste der Mariendogmen, verkündet 1950 von Papst Pius XII. Erste Überlieferungen von einem leeren Mariengrab gab es schon im 6. Jahrhundert. Der Psychologe Carl Gustav Jung gab diesem viel kritisierten Lehrsatz seine Deutung: Die Menschheit braucht in der Gestalt der göttlichen Frau eine transzendente Verankerung, um heil, um ganz zu werden.
Viele der Vorstellungen und Lehren über Maria haben Ur- und Vorbilder in anderen Religionen. In fast allen Völkern und Religionen findet sich die Vorstellung, dass besondere Menschen ohne menschlichen Erzeuger von einer Jungfrau geboren werden. Buddhas Mutter war ein reines Gefäß natürlicher Tugenhaftigkeit, frei von körperlichen Plagen und Begierden
. Die altägyptische Göttin Isis war Jungfrau und Mutter; auf ihrem Schoß sitzt ihr Knabe Horus, die Welt in der einen, das Zepter in der anderen Hand. Anath und Astarte waren Göttinnen, die nicht empfangen, aber gebären
; alle Göttinnen der alten ägäischen Kulte waren Jungfrauen und Frauen ohne Ehemänner. Die babylonische Ischtar / Astarte galt als Herrin des Himmels; ihr Standbild gelangte im 7. Jahrhundert v. Chr. sogar in den Tempel nach Jerusalem, dort als Himmelskönigin
verehrt (Jeremia 7, 18) Die Vestalien im alten Rom – die Jungfrauen, die im Tempel der Feuergöttin Vesta dienten – haben den Ponifex maximus
geboren – dieser Titel ging später auf die Päpste über. Auf den Resten des Tempels der Göttin Artemis in Ephesos – der Göttin der Amazonen, der kriegerischen Jungfrauen des alten Griechenland – baute man – wohl nach dem Konzil von Ephesus die Marienkirche.