04/21: Anselm von Canterbury
Abt in Le Bec, Erzbischof von Canterbury, Kirchenlehrer
* um 1033 in Aosta in Italien
† 21. April 1109 in Canterbury in England
Anselm wurde als Sohn eines lombardischen Adligen geboren. Im Alter von 15 Jahren trat er in ein Kloster seiner Heimat ein. Nach dem Tod der Mutter kam es zu Spannungen mit dem Vater, Anselm lebte nun bei Verwandten in Burgund. Ab 1056 begab er sich auf Studienreisen durch Nordfrankreich und trat – nach einigem Zögern – 1060 in das von dem berühmten Lanfranc geleiteten Benediktinerkloster in Le Bec in der Normandie ein; dort wurde er 1063 als Nachfolger Lanfrancs Prior und Leiter der Klosterschule. Er machte die Schule und den Konvent zu einer bekannten Stätte der Gelehrsamkeit. Ziel der Bildung sei die sittliche Ertüchtigung des Menschen. Anselm sah die Gefahren einer nur auf Zucht und Strafe bedachten Erziehung, baute sexuelle Vorurteile ab und verwies auf die Bedeutung der Geduld und des liebenden Interesses des Erziehers und die Bedeutung einer personalen Bindung für das Bewusstsein der eigenen Verantwortung und Freiheit.
Während dieser Jahre wuchs Anselms Ansehen aufgrund seiner Studien und seiner Frömmigkeit. Die Mönche forderten ihn auf, die Meditationen aufzuschreiben, die seinem Unterricht zugrunde lagen. Daraufhin verfasste er 1077 das Selbstgespräch „Monologion“, worin er – über den Einfluss des Augustinus reflektierend – von Gott als dem höchsten aller Wesen spricht und die Attribute Gottes untersucht. Ermutigt von diesem Erfolg fuhr er fort in den Bemühungen, seinen Glauben verständlich zu machen, und vollendete 1078 die Gespräche „Proslogion“, den zweiten Teil dessen, was im 18. Jahrhundert als ontologischer Gottesbeweis bekannt werden sollte.
Nachdem Lanfranc zum Erzbischof von Canterbury ernannt wurde, wurde Anselm 1079 zum Abt von Le Bec gewählt. 1093 wurde Anselm – nach hinhaltendem Widerstand des englischen Königs Wilhelm Rufus – als Nachfolger des vier Jahre zuvor gestorbenen Lanfranc zum Erzbischof von Canterbury berufen. Auch in England gab es dem deutschen Investiturstreit vergleichbare Verhältnisse; Anselm war als Erzbischof von Canterbury zugleich Primas der Kirche von England, die Wilhelm der Eroberer nach den „Gebräuchen und Gesetzen, die seine Väter und er selbst in der Normandie gepflogen hatten“ organisiert hatte: Bischöfe, Äbte und höheren Prälaten wurden vom König bestellt, der Einfluss Roms war auch zur Zeit von Papst Gregor VII. weitgehend ausgeschaltet. So kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Anselm, der von Papst Urban II. unterstützt wurde, und König Wilhelm II, nachdem König Wilhelm Rufus auf der Jagd von Unbekannten ermordet worden war. Anselm wurde 1097 gezwungen, England zu verlassen.
Auch während des Exils in Italien führte Anselm ein Leben voller Konflikte mit den weltlichen Machthabern. Er war der festen Überzeugung, dass die Kirche sich als „freie Braut“ und nicht als „hörige Magd“ auf ihre Vollendung hin ausrichten müsse. deshalb trieb Anselm auch die Kirchenreform durch die Erneuerung des Klerus voran und ging auf Reformsynoden mit aller Schärfe, aber wenig Erfolg, gegen die Priesterehe vor, die noch weit verbreitet war. Im Exil schrieb er sein theologisches Hauptwerk „Cur Deus Homo“, „Warum Gott Mensch wurde“, eine Studie über die Menschwerdung und Kreuzigung Christi als Weg der Sühne für die Sünden der Welt. Die Sünde des Menschen ist so stark, dass nur eine frei geleistete Genugtuung von unendlichem Wert Gottes Ehre wiederherstellen kann, das aber vermag der Mensch als Sünder nicht, das konnte also nur Gott selbst vollbringen und hat der Gott-Mensch Jesus Christus für uns vollbracht.
Als Heinrich I. 1100 die Nachfolge des englischen Thrones antrat, konnte Anselm nach Canterbury zurückkehren. Kontroversen auch mit diesem König endeten für Anselm 1103 aber mit seiner erneuten Verbannung. Erst als sich König Heinrich I. und Papst Paschalis II. verständigten, konnte Anselm 1106 wieder zurückkehren und sich seinem Bistum und seinen Studien widmen.
Anselm war einer der größten mittelalterlichen Theologen mit weit reichendem Einfluss, er gilt als „Vater der => Scholastik“ durch seine Betonung der Kraft der Vernunft, bekannt in seinem Satz: „Credo, ut intelligam“ – „Ich glaube, um zu erkennen“. Der ontologischen Gottesbeweis ist der denkerische Versuch, die Existenz Gottes damit aufzuweisen, dass der Mensch in der Lage ist, überhaupt Gott zu denken. Anselm vertrat die Auffassung, dass auch diejenigen, welche die Existenz Gottes anzweifeln, ein gewisses Verständnis von dem, was sie anzweifeln, haben müssen. Der Definition nach ist Gott das Wesen, das von nichts Größerem überragt werden kann, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Da jede Existenz außerhalb des Geistes größer ist als innerhalb desselben, wäre es ein Widerspruch, an der Existenz Gottes zu zweifeln, da der Zweifler davon ausgehen würde, dass es etwas größeres gibt als ein Wesen, das von nichts denkbar Größerem überragt werden kann. Folglich ergibt sich per Definition, dass Gott notwendigerweise existiert. Nachdem also Gott schon durch seine Defintion nicht anders als „das Vollkommene“ beschrieben werden kann, muss ein Gott existieren, sonst wäre er ja nicht vollkommen.
Im ganzen Mittelalter bis in die frühe Neuzeit hatte Anselms „Gottesbeweis“ große Bedeutung. Der Hauptpunkt in der Kritik an Anselms Beweisführung ist die Überlegung, dass man durch die bloße Definierung von etwas nicht auf dessen Existenz außerhalb des Geistes schließen kann. Anselms Argumentation wurde sowohl von einem seiner Zeitgenossen, dem Mönch Gaunilo von Marmoutier / Maursmünster, angefochten, wie auch später von Thomas von Aquin und dem Philosophen Immanuel Kant. Dennoch haben René Descartes, == Baruch Spinoza, Gottfried Leibniz und einige zeitgenössische Philosophen ähnliche Argumente vorgebracht. Bei aller Wissenschaftlichkeit war Anselm ein zutiefst frommer Mensch, ein Mystiker, dessen Gebete ebenso berühmt sind wie seine philosophisch-theologischen Werke.
Der Törichte, der im Psalm 14, 1 spricht „es gibt keinen Gott“, war für Anselm nicht der Vertreter eines kämpferischen Atheismus; der Ungläubige – d.h. für Anselm der Jude oder Muslim, für den die Menschwerdung Gottes ein Unding ist – ist nicht einfach glaubenslos. Aber jede Form des Atheismus und des Unglaubens fordert den Theologen, die Rationalität des Glaubens und des Dogmas unwiderlegbar aufzuweisen.
Anselms Grab befindet sich in der Kathedrale von Canterbury.
Kanonisation: 1494 wurde Anselm heilig gesprochen und 1720 von Papst Clemens XI. zum Kirchenlehrer ernannt.
Quelle: www.heiligenlexikon.de