Theologie des Leibes – Überraschende Perspektive auf die Ehe
Theologie des Leibes – das große Vermächtnis des seligen Johannes Pauls II. eröffnet überraschende Perspektiven im Blick auf die Ehe. Sylvia Schraml* fasst für Sie die wichtigsten Aspekte zusammen.
„Man kann nicht nur auf Probe leben,
man kann nicht nur auf Probe sterben.
Man kann nicht nur auf Probe lieben,
nur auf Probe und Zeit einen Menschen annehmen.“
Die Unbedingtheit der menschlichen Liebe, die in diesem Zitat zum Ausdruck kommt hat auch 30 Jahre nach dieser Predigt von Papst Johannes Paul II. nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Ja, sie drückt eine Sehnsucht des Menschen aus: gemäß einer Studie der BZgA zur Jugendsexualität 2010 steht für Jugendliche „Treue“ hoch im Kurs.
Papst Johannes Paul II. wusste, insbesondere aus seiner Zeit als Studentenseelsorger in Krakau, um diese Suche des Menschen, um die Fragen: „was ist wahre Liebe?“ „was ist der Mensch?“. Er hat 133 Generalaudienzen jeweils am Mittwoch über mehrere Jahre (1979-1984) hinweg genutzt, um mit den Menschen die da waren, gemeinsam tiefer über diese Fragen nachzudenken. Dabei hat er „eine theologische Zeitbombe“ gezündet, die irgendwann im 3. Jahrtausend hochgehen wird, wie George Weigel in seiner Biographie „Zeuge der Hoffnung“ (S. 358) schreibt.
Was ist so neu und herausfordernd an diesen Katechesen?
„Theologie des Leibes“ ist nicht eine notwendige Ergänzung zu einer „Theologie der Seele“, sondern bedeutet vielmehr: den Menschen ernst nehmen als das, was er ist: „animal rationale“ in der Sprache der Philosophie – oder mit den Worten von Papst Johannes Paul II:
„Der Leib, und nur er, kann das Unsichtbare sichtbar machen: das Geistliche und das Göttliche“ (Katechese 19 vom 20.02.1980, Nr. 4, S.169).
Es mag sein, dass der Leib in der katholischen Kirche über eine lange Zeit unter dem Verdacht der Sündhaftigkeit stand, und leider manchmal noch steht. Johannes Paul II. hat ihn rehabilitiert, wenn er sagt: Der Mensch drückt sich, seine Liebe, seinen Wunsch, sich zu verschenken in und durch seinen Leib aus. Der Leib hat eine Sprache. In dieser Sprache kann ich die Wahrheit sagen oder lügen, wie in jeder Sprache. Die Wahrheit sagen heißt, dass das, was ich mit meinem Leib ausdrücke mit dem übereinstimmt, was meine Worte, meine Einstellungen sagen.
Am deutlichsten wird das in der christlichen Ehe, wenn Mann und Frau miteinander schlafen (oder: theologisch gesprochen „den ehelichen Akt vollziehen“). Mit meinem Leib sage ich damit dem Partner, dass ich ihn liebe, dass ich mich ihm ganz schenke – genau das, was ich in Worten im Eheversprechen ausdrücke: gegenseitige Hingabe in Gänze, in Freiheit, in Treue und mit der Offenheit der Fruchtbarkeit.
„So gelangen wir also von den Worten, mit denen der Mann und die Frau ihrer Bereitschaft Ausdruck geben […] zu der Wirklichkeit, die diesen Worten entspricht.“ (Katechese 103 vom 05.01.1983, Nr. 3, S. 580).
So zu lieben, das ist radikal und herausfordernd, deswegen schlagen die Katechesen einen großen Bogen, um über das Menschsein und das Leibsein des Menschen nachzudenken: zurück zur Schöpfungsgeschichte, um neu zu lesen, wie der Mensch „im Anfang“ von Gott gedacht war, von ihm geliebt und gewollt, ganz fähig sich vorbehaltlos zu schenken; um zu sehen, wie sich das Drama der Sünde ereignet, wenn das Misstrauen in die Beziehung zwischen Gott und Mensch und der Menschen untereinander tritt: „Meinst Du es wirklich gut mit mir? Meinst Du es ernst? Oder benutzt Du mich, um mich dann wegzuwerfen?“ und um zu erleben, wie Jesus auftritt, der von der Würde und der Berufung des Menschen spricht, so zu lieben, wie Gott selbst liebt: in Treue zu seinem Bund, den er mit den Menschen geschlossen hat, zu dem er unwiderruflich steht.
Die christliche Ehe ist Abbild dieses Bundes zwischen Gott und den Menschen, wie er im Alten Testament geschlossen und im Neuen Testament zwischen Christus und der Kirche erneuert wird:
„Die christliche Ehe entspricht nur dann der Berufung des Christen, wenn sie die Liebe widerspiegelt, die Christus als Bräutigam der Kirche, seiner Braut, schenkt und welche die Kirche […] Christus zu erwidern sucht. Das ist die rettende, die erlösende Liebe, die Liebe, mit welcher der Mensch von Ewigkeit her von Gott in Christus geliebt wird.“ (Katechese 90 vom 18.08.1982, Nr. 2, S. 511).
Es ist die Berufung des Menschen (seinen Ehepartner) so zu lieben, wie er selbst von Gott geliebt wird; anders gesagt: eine christliche Ehe wird für alle anderen Menschen „drumherum“ zum Sakrament, d.h. zum Heilszeichen, weil sie die Liebe Gottes sehen, die sichtbar – leiblich – greifbar wird. (Dass auch die christliche Ehelosigkeit zum Zeichen für die Treue Gottes wird – dazu müssten wir jetzt die Katechesen Nr. 73-85 lesen).
Festzuhalten ist
Johannes Paul II. hat in seiner Theologie des Leibes etwas Wichtiges neu betont: Der Mensch als Wesen aus Geist und Leib erkennt durch Christus „seine höchste Berufung“ (vgl. GS 22), nämlich ganz, treu, frei und fruchtbar zu lieben. Die Theologie des Leibes, die hier in groben Umrissen dargestellt wurde, ist somit nicht nur für Ehepaare, sondern für jeden Menschen, der einen Leib hat – also für alle. ;-)
Lektüre
Eine kurze und gut lesbare Einführung im Taschenbuchformat bietet: Christopher West, Theologie des Leibes für Anfänger. Einführung in die sexuelle Revolution nach Papst Johannes Paul II., FE- Medien: Kisslegg 2005, ISBN: 3928929712, 10€.
Die Texte der Katechesen finden sich bei: Johannes Paul II./ Norbert und Renate Martin (Hg.), Die menschliche Liebe im göttlichen Heilsplan. Eine Theologie des Leibes, FE- Medien: Kisslegg 2008, ISBN: 9783939684442,19,95€.
* Sylvia Schraml ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in Fundamentaltheologie an der Universität Regensburg.
Dieser Text wurde der ICF dankenswerterweise von der Autorin und vom Bistum Regensburg zur Verfügung gestellt.